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«Ich wurde wirklich für tot gehalten»

Als 16-Jährige erlitt Celine van Till als Nachwuchsreiterin einen schweren Schicksalsschlag. Nach einem Sturz vom Pferd war fast alles vorbei. Jetzt ist die Genferin bei der Rad-WM in Zürich eine der Favoritinnen – neben allen anderen Aufgaben, denen sie nachgeht.

Bericht: Simon Strimer, Blick Sport

Über unsere Gold-Hoffnung Celine van Till (33) gibt es einen Film. Ein Satz im Trailer heisst: «Ich wurde für tot gehalten.» Die Para-Cyclerin aus Genf erlebte als Teenager einen schweren Schicksalsschlag. Van Till war eine ambitionierte Dressurreiterin. Dann der Sturz vom Pferd als 16-Jährige – und alles wurde dunkel. Einen Monat lang lag sie im Koma. Gut 16 Jahre später steht sie als Mitfavoritin an der Heim-WM in Zürich da. Mit dem Gold-Traum im Kopf.

«Bucéphale» heisst der Film über van Till aus dem Jahr 2017. Auf Deutsch: Bukephalos. Die Anlehnung an ein berühmtes antikes Schlachtross. Ihr Pferd hat van Till damals beim verhängnisvollen Sturz unter sich begraben. «Es stimmt, ich wurde wirklich für tot gehalten», erzählt sie vor der Heim-WM. Zu Beginn machte sie alles durch: Hirn-OP, sie konnte nicht mehr sprechen, nicht mehr gehen, nicht mehr richtig essen, musste alles wieder von neu lernen. Dies hat sie eindrücklich geschafft.

Van Till ist FDP-Politikerin im Genfer Grossrat, gibt Referate, hat einen Bachelor-Abschluss in Management und Marketing, hat im März die Spitzensport-RS in Magglingen abgeschlossen – und da ist natürlich der Spitzensport. Hier jagt ein Highlight das nächste. Nach dem Doppel-Silber an den Paralympics in Paris anfangs September folgt direkt die Heim-WM. Sie startet auf dem Dreirad im Zeitfahren als Titelverteidigerin (Dienstag, 16 Uhr) und dann auch mit guten Chancen im Strassenrennen (Freitag, 11 Uhr).

Van Till fährt mit Einschränkungen in der Koordination, dem Gleichgewicht und dem Sehvermögen. Deshalb ist sie auch auf dem Dreirad unterwegs. «Ich sehe auf dem Velo scharf, aber auf die linke Seite kann ich nicht sehen, auf der rechten Seite doppelt und auch zweidimensional. Doch ich habe andere Strategien herausgefunden, um Distanzen einzuschätzen», sagt sie. «Solange ich weitertrainiere, werde ich diese Fähigkeiten behalten.»

Woher hat sie den Willen geholt, wieder an diesen Punkt zu gelangen? «Es war zwei Monate nach Aufwachen in der schwierigen Reha-Phase.» Damals, nach dem Sturz 2008. «Ich sah keinen Sinn mehr in all den Therapien. Ich habe meinen Anblick im Spiegel nicht mehr ertragen. Ich wollte nur noch sterben.»

Aber dann der Wendepunkt: «Meine Mutter hat mich nach Hause geholt für ein Wochenende.» Endlich, entgegen dem Rat der Ärzte, sitzt sie wieder auf einem Pferd. Der Wendepunkt. «Das war das Grösste. Da ist es mir bewusst geworden, wieder kämpfen zu wollen. Das hat nie aufgehört», sagt van Till jetzt. 2012 wird sie die neue Miss Handicap, 2016 in Rio nimmt sie an den Paralympics teil – wieder als Dressurreiterin. Es folgt der Wechsel zur Para-Leichtathletik, wo sie die B-Limite für Tokio 2021 schafft. Aber dann im Sprinttraining: nochmals ein schlimmer Sturz auf den Kopf. Van Till zieht sich vom Spitzensport zurück. Lange kann sie jedoch nicht ohne. Im Para-Cycling findet sie 2022 ihr Glück.

Was ist denn das grössere Highlight, Paralympics in Paris oder Heim-WM in Zürich? Van Till muss lachen. Denn so einfach ist das nicht: «Paralympics sind natürlich nur alle vier Jahre. Aber hier im eigenen Land gibt es ein Regenbogentrikot, das es zu verteidigen gilt, das kommt nur einmal vor.»

Bild: Gabriel Monnet

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