Bericht: Yves Solenthaler, Der Rheintaler
Billie Stump organisiert das Wildhauser Rennen des Swiss Disabled Cups, das am Sonntag bei prächtigen Bedingungen zum 16.Mal stattfand. Diesmal war die Wildhauserin, die den PluSport-Stützpunkt Ostschweiz leitet, auch als Guide für einen Sehbehinderten dabei. Nach fünf Riesenslalom-Läufen fahren Billie Stump und der 42-jährige, sehbehinderte Rennläufer Sebastian Schmitz aus Baar ZG nochmals zum Start am Waldrand an der Talstation, um ihre Siebensachen zu packen. Als sie erfahren, dass es noch einen sechsten Lauf gibt, sagt Schmitz: «Das ist ein Supplement.»
Die 31-jährige Billie Stump macht Freudensprünge. «Die Arbeit als Guide ist fordernd, man trägt viel Verantwortung, aber die Wertschätzung und Dankbarkeit, die zurückkommt, ist um ein Vielfaches höher», sagt sie. Der Swiss Disabled Cup (SDC) ist eine Rennserie von PluSport und der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV). Er richtet sich an Skifahrende mit einer körperlichen Behinderung - sitzend, stehend oder auch sehbehindert. Die drei Regio-Stützpunkte führen die Rennen durch.
Einen Monat nach Veysonnaz VS und eine Woche vor Sörenberg LU massen sich 18 Sportler und vier Sportlerinnen in Wildhaus. «Eine erfreuliche Anzahl», sagt Pascal Achermann. Der Leiter des Stützpunkts in Sörenberg ist PluSport-Nationaltrainer und auch bei Swiss Paralympics als Trainer tätig, normalerweise seien es um die 15 Athletinnen und Athleten. Die Teilnahme des liechtensteinischen Teams freute den Leiter der Rennserie besonders. Seit sieben Jahren Leiterin des PluSport-Stützpunkts Die 31-jährige Billie Stump leitet den Stützpunkt Ostschweiz in Wildhaus seit sieben Jahren. Sie war JO-Leiterin, als sie eine Anfrage von PluSport sofort annahm. Innert ein, zwei Jahren wurde sie zur Leiterin des Stützpunkts Ostschweiz. Billie Stump ist eine Ski-Begeisterte, sie stand mit einem Altersjahr erstmals auf Ski - familiär geprägt: Ihr Grossvater war Niklaus Stump (1920-2005), der an den Olympischen Spielen von 1948 in St.Moritz Vierter in der Nordischen Kombination wurde, aber auch bei alpinen Skirennen startete. Als Jugendliche fuhr Billie Stump selbst Rennen, jetzt trainiert sie jeweils am Samstag eine Gruppe mit zehn bis fünfzehn Fahrerinnen und Fahrern.
Mit etwa sechs Helfer:innen organisierte die beruflich als Bewegungstherapeutin in der Psychiatrie tätige Wildhauserin das Rennen mit Mittagessen, Rangverkündigung und dem ganzen Drum und Dran. Wenn sie Trainings leitet, ist Billie Stump nicht gleichzeitig als Guide tätig - einer sehbehinderten Person auf der Skipiste den Weg zu weisen, erfordert die volle Konzentration. Sie springt in dieser Saison als Guide ein, damit Sebastian Schmitz seine Skikarriere starten kann. «Er ist ein Sportverrückter, der mit viel Willen und grosser Hingabe etwas erreichen will», sagt Billie Stump. Ihre Hoffnung besteht darin, dass ihr Schützling nächste Saison von einem erfahrenen Guide begleitet wird.
Bei seinem ersten Skirennen fährt Sebastian Schmitz am Sonntag mit Billie Stump als Guide auf den sechsten Platz. «Er liess Konkurrenten hinter sich, die schon seit vielen Jahren dabei sind», sagt Stump. Das spreche für sein Potenzial. Viele mögliche Hindernisse in den Skigebieten Sebastian Schmitz arbeitet als selbstständiger Physiotherapeut. «So kann ich die Zeit gut einteilen», sagt er. Dabei muss er aber immer auch eine Person finden, die ebenfalls über Zeit verfügt und vor allem kompetent genug ist, um ihn beim Sporttreiben zu begleiten. Nur schon die Wahl des Skigebiets muss gut geprüft werden: Beschneiungsanlagen, Pistenrandabsperrungen und andere Barrieren stellen mögliche Hindernisse dar. Besonders schlecht sichtbar seien, so Schmitz, die gelben «Slow-Langsam»-Tafeln. Das helle Gelb kontrastiert nämlich kaum mit dem weissen Schnee. Für Menschen im Rollstuhl ist diese Wahl noch herausfordernder.
Stufen, nicht zeitgerecht erreichbare Toiletten stehen dem Skispass oft im Weg. Es gebe nach wie vor Skigebiete, die Skibobfahrer zu empfehlen seien, beklagt Billie Stump. Sogar moderne Sessellifte sind ohne Umrüstung manchmal nicht geeignet, um einen Sportler:innen im Skibob zu transportieren. Sebastian Schmitz trotzt den Widrigkeiten, so gut es geht: Im Sommer ist er leidenschaftlicher Kletterer, er ist auch schon Kajak gefahren. Im Winter möchte er seinen Fokus nun aufs Skifahren richten. Er ist ambitioniert, die Paralympics sind ein Fernziel: «Ich weiss allerdings nicht, ob dieses realistisch ist.» Sebastian Schmitz verfügt über eine Sehkraft von fünf Prozent. Gegenüber Menschen mit gesunden Augen schildert er seine Sehfähigkeiten oft so: «Ich sehe etwa so viel, wie wenn du aus dem Flugzeug schaust.» Die fehlenden 95% seiner Sehkraft leiht ihm Billie Stump, damit er in rasantem Tempo Rennen bestreiten kann. Am Wettkampf in Wildhaus nehmen auch zwei Fahrerinnen teil, die gar nichts sehen, also vollständig blind sind.
«Man steckt viel rein, aber es kommt ein Vielfaches zurück.»
Billie Stump, PluSport-Ski-Guide
Während sich Billie Stump beim Fahren über Funk mit Sebastian Schmitz verständigt, erhalten sie die Zurufe von ihrem Guide über Lautsprecher. Deshalb ist bei ihnen gut zu hören, dass auch Codes verwendet werden. Einen Rechtsschwung kündigt der Guide mit «Eins», einen Linksschwung mit «Elf» an. Ist es eine schärfere Kurve, wählt er die Kommandos «Zwei» (rechts) oder «Zehn» (links). Wenn der Schnee unter den Skiern laut knirscht, muss der Guide lauter sprechen, damit er von der Fahrerin oder dem Fahrer auch gehört wird. Zudem ist die Betreuung rund um die Wettkämpfe intensiver. «Sebastian kann sich abseits der Skipiste weitgehend selbstständig bewegen, eine blinde Person braucht stetig Unterstützung für ihre Sicherheit und Orientierung, indem man ihr die Umgebung beschreibt», sagt Billie Stump. Auf der Skipiste kann Schmitz einem Tor ausweichen, weil er die Umrisse im letzten Moment erkennt: «Lieber von der falschen Seite anfahren, als einen Unfall riskieren.» Eine Person ganz ohne Sehkraft ist dagegen hilflos: Eine fädelt deshalb ein - zum Glück, ohne sich zu verletzen. Erleichtert kann Stump deshalb feststellen, dass das Rennen in Wildhaus unfallfrei über die Bühne ging.
Ein Guide muss viele Fähigkeiten mitbringen, die Wichtigste: Er oder sie muss ein sehr guter Skifahrer oder eine sehr gute Skifahrerin sein. Die Guides, die vorneweg fahren, «dürfen sich nicht auf ihr Skifahren konzentrieren müssen», sagt Nationaltrainer Pascal Achermann. Billie Stump findet, dass eigene Rennerfahrung ein Vorteil sei. Skifahren im Renntempo mit Rückwärtsblick Die Guides müssen nicht nur mindestens gleich schnell fahren wie die Sportler, sie müssen dabei auch oft nach hinten schauen. Auch der Zeitbedarf ist enorm: Guides müssen bei jedem Training dabei sein. Einerseits, weil Sehbehinderte nicht allein fahren dürfen und auch, weil gemeinsames Training wichtig ist, um sich aufeinander abzustimmen. Dazu trägt ein Guide eine grosse Verantwortung: Gibt er ein falsches Kommando oder wird er falsch verstanden, kann das erhebliche Folgen haben. Trotzdem ist den Guides, nicht nur Billie Stump, anzusehen, dass sie ihre Aufgabe mit viel Freude ausführen. Die von Stump oft erwähnte Dankbarkeit der Athletinnen und Athleten wird spürbar, wenn sie vor der Rangverkündigung von Sebastian Schmitz innig umarmt wird. Auch das Zwischenmenschliche ist wichtig.
«Das Duo muss auf und neben der Piste harmonieren», sagt Achermann. Beim Zusammensitzen im Bergrestaurant Oberdorf wird's sehr emotional. Die frühere Weltmeisterin Maria Walliser ist gekommen, um die Preise zu verteilen. Sie unterstützt den Swiss Disabled Cup seit Beginn vor 20 Jahren mit Beiträgen ihrer Stiftung Folsäure Schweiz. Sie umarmt jede Sportlerin und jeden Sportler und gibt ihnen ein Küsschen: «Ich möchte helfen, dass diese Menschen das Gleiten auf Schnee und die Wintersonne in den Bergen auch geniessen können.»
Menschen wie Billie Stump leisten dies mit unzähligen Trainings und weiteren Einsätzen. Nicht nur sie und Maria Walliser wünschen sich, dass alle sehbehinderten Skifahrerinnen und Skifahrer einen Guide finden, damit sie ihr Hobby ausüben können. Ein harmonisches Duo: Die Wildhauserin Billie Stump ist Guide des sehbehinderten Skirennfahrers Sebastian Schmitz, der am Sonntag in Wildhaus erstmals ein Rennen bestritt. Bilder: Yves Solenthaler Ein Küsschen von der Skilegende: Maria Walliser gratuliert Sebastian Schmitz zum sechsten Rang. Synchroner Start: Mit kräftigen Stockstössen nehmen Guide Billie Stump (vorne) und Sebastian Schmitz den Riesenslalom in Angriff.
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